OLG Celle




Unterhaltsrechtliche Leitlinien des OLG Celle
(Stand: 1.1.1996)


Die von den Familiensenaten zusammengestellten Leitlinien dienen dem Ziel, die Rechtssprechung der Senate möglichst weitgehend zu vereinheitlichen. Sie werden der Entwicklung des Unterhaltsrechts angepaßt und lassen bewußt Raum für weitere Überlegungen und Konkretisierungen. Eine bindende Wirkung kommt ihnen nicht zu.

I.Anrechenbares Einkommen

1. Grundlage der Unterhaltsbemessung ist das Nettoeinkommen (Bruttoeinkommen abzüglich der Steuern unter Ausnutzung von Steuervorteilen sowie notwendiger Aufwendungen für Altersvorsorge, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung).

2. Eigene vermögenswirksame Leistungen werden nicht abgesetzt, Zuschüsse des Arbeitsgebers, die Arbeitnehmersparzulage und Prämien werden dem Einkommen nicht hinzugerechnet.

3. Zuschläge, Sonderzuwendungen und Überstundenvergütungen sind dem anrechenbaren Einkommen hinzuzuzählen. In Ausnahmefällen kann ein angemessener Abschlag erfolgen.

4. Spesen und Auslösungen werden pauschal zu 1/3 dem Einkommen hinzugerechnet, soweit nicht nachgewiesen wird, daß die Zulagen notwendigerweise in weitergehenden Umfang verbraucht werden.

5. Die Anrechenbarkeit von Sozialleistungen richtet sich nach § 160a BGB.

6. Wohngeld ist, wenn es höhere Wohnkosten ausgleicht, nicht als Einkommen zu berücksichtigen (BGH, NJW 1983, 684 = FamRZ 1982,587)

7. Notwendige berufsbedingte Aufwendungen sind abzuziehen, wobei bei entsprechenden Anhaltspunkten eine Pauschale von 3% des Netto-(Erwerbs-)Einkommens geschätzt werden kann. Wenn die Notwendigkeit berufsbedingter Aufwendungen fraglich ist, bedürfen diese konkreter Darlegungen. Berufliche Fahrtkosten werden bei unvermeidbarer PKW-Benutzung mit mindestens 0,40 DM/km berücksichtigt.

8. Voreheliche, eheliche oder sonstige unumgängliche Schulden vermindern das anrechenbare Einkommen. Zins- und Tilgungsraten sind im Rahmen eines vernünftigen Tilgungsplanes vom anrechenbaren Einkommen vorweg abzuziehen. Dabei soll möglichst für minderjährige Kinder mindestens der Regelbedarf gesichert bleiben (zur evtl. unterschiedlichen Berücksichtigung von Schulden beim Ehegatten bzw. Kindesunterhalt vgl. BCH, NJW 1982, 1646 = FamRZ1982, 678; NjW 1984, 657; NJW-RR 1986, 428 = FamRZ 1986,254). Notfalls kann eine angemessene Kürzung der Unterhaltsrenten.

9. Der Vorteil des mietfreien Wohnen im eigenen oder dem anderen Ehegatten gehörenden Haus (Eigentumswohnung), das bisher Ehewohnung war, wird während der Trennungszeit nur in Höhe einer den Einkommensverhältnissen angemessenen ersparten Miete angerechnet. Die mit dem Grundstückseigentum in Verbindung stehenden Belastungen nicht jedoch die Verbrauchskosten, sind in der Regel in vollem Umfang vom anrechenbaren Einkommen abzuziehen. Nach langer Trennungszeit und nach der Ehescheidung wird es im allgemeinen zumutbar sein, das Haus (Eigentumswohnung) anderweitig zu verwerten (Vermietung, Verkauf). Dann ist die Anrechnung des vollen Mietwertes gerechtfertigt. Darüber hinausgehende Belastungen sind nicht mehr zusätzlich absetzbar.

II. Kindesunterhalt

A.Unterhalt minderjähriger Kinder

1. Der Barunterhaltsbedarf minderjähriger Kinder bemißt sich nach der Düsseldorfer Tabelle.

2. Das auf jedes Kind entfallende anteilige Kindergeld wird zur Hälfte auf die Unterhaltssätze der Düsseldorfer Tabelle angerechnet. Wird das Kindergeld an den barunterhaltspflichtigen Elternteil ausgezahlt, so hat dieser die Hälfte des anteiligen Kindergeldes zusätzlich abzuführen.

3.a) Der sog. Zählkindervorteil ist bei Kindern aus verschiedenen Verbindungen nicht auszugleichen.
b) Bei Kindern aus derselben Verbindung wird der Zählkindvorteil in der Regel dadurch ausgeglichen, daß das insgesamt für diese Kinder gezahlte Kindergeld auf sie gleichmäßig verteilt wird. Die Hälfte des auf jedes dieser Kinder entfallenden Kindergeldes hat dem sorgeberechtigten Elternteil anrechnungsfrei zu verbleiben.

4. Kinderzuschläge und -zuschüsse zu Renten sind in Höhe des staatlichen Kindergeldes ebenso wie dieses zu behandeln. Darüber hinausgehende Mehrbeträge sind ebenso wie kinderbezogenen Zulagen zum Ortszuschlag nach § 11a BKGG (in Altfällen bis einschließlich 1995) als Einkommen des Empfängers zu behandeln.

5. Eigenes Einkommen des Kindes (z.B.: Ausbildungsvergütungen, BAföG-Zuschüsse) ist nach Abzug ausbildungs- oder berufsbedingter Mehraufwendungen gegenüber dem barunterhaltspflichtigen und dem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil in der Regel je zur Hälfte anzurechnen.

6. Die Barunterhaltspflicht des nicht sorgeberechtigten Elternteils bemißt sich allgemein nach der Höhe seines Einkommens und nicht nach der Summe der Einkommen beider Elternteile. Der sorgeberechtigte Elternteil, der das minderjährige Kind versorgt und betreut, ist im allgemeinen auch bei eigenem Einkommen nicht barunterhaltspflichtig. Hat er jedoch infolge seines Einkommens oder Vermögens eine bessere Lebensstellung als der andere Elternteil, dann ist er verpflichtet, das Kind daran teilnehmen zu lassen. Bei hohem Einkommen des Sorgeberechtigten kann es gerechtfertigt sein, die Barunterhaltspflichtdes anderen Elternteils zu ermäßigen. In diesem Fall ist dem anderen Elternteil mindestens der angemessene Selbstbehalt (1800 DM, vgl. unten IV 2) zu belassen.

B. Unterhalt volljähriger Kinder

1. Unterhaltsbedarf volljähriger Kinder, die sich noch in der Berufsausbildung befinden, richtet sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern (BGH, NJW-RR 1986, 426 = FamRZ 1986,151;NJW-RR 1986, 1261 = FamRZ 1987, 58).
2. Für den gesamten Unterhaltsbedarf werden folgende Beträge zu Grunde gelegt:
a) bei Unterbringung im Hause eines Elternteils in der Regel 900 DM;
b) bei auswärtiger Unterbringung in der Regel 1050 DM.
Dabei sind ausbildungs- oder berufsbedingte Unkosten, soweit sie den üblichen Rahmen nicht überschreiten, bereits berücksichtigt. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die das Kind zu zahlen hat, erhöhen dessen Bedarf. Die Differenzierung zu a) und b) beruht darauf, daß die Kosten der Lebensführung bei Zusammenleben mit einem Elternteil geringer sind.

3. Auf den Unterhaltsbedarf sind eigenes Einkommen des Kindes sowie das anteilige Kindergeld im vollem Umfang anzurechnen. Der Bezieher des Kindergeldes hat das anteilige Kindergeld für den Unterhalt des Kindes zu verwenden. BAföG-Leistungen mindern im allgemeinen auch dann die Bedürftigkeit des Kindes, wenn sie lediglich darlehensweise gewährt werden (BGH, NJW 1985, 2331 = FamRZ 1985, 1916).

4. Hinsichtlich des verbleibenden Unterhaltsbedarfs haften die Eltern anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
a) Vor der Ermittlung der Haftungsquoten der Eltern sind von deren Einkommen zunächst die für ihren eigenen Unterhalt erforderlichen Beträge (angemessener Selbstbehalt; vgl. unten IV 2) abzuziehen (BGH, NJW-RR 1986, 426 = FamRZ 1986, 151; NJW-RR 1986, 293 = FamRZ 1986, 153).
b) Kann ein Elternteil weder mit seinem Einkommen noch mit seinem Vermögen (wozu auch die Wohnungsgewährung im eigenen unbelasteten Haus gehören kann) zum Unterhalt des Kindes beitragen, dann haftet der andere Elternteil im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit allein.

III. Ehegattenunterhalt

1.a) Bei Anwendung der Differenzmethode sind als angemessener Unterhalt (§§ 1361, 1578BGB, & 58 EheG) in der Regel 3/7 des anrechenbaren Erwerbseikommens des Unterhaltspflichtigen zu zahlen, bei eigenem Erwerbseinkommen des Berechtigten 3/7 des Differenzbetrages zwischen den beiderseitigen anrechenbaren Einkommen. Bei Nicht-Erwerbseinkommen ist insoweit im Regelfall von einer Quote von 50% auszugehen. b) Bei Anwendung der Anrechnungsmethode (BGH, NJW 1984, 292 = FamRZ 1984, 151; NJW 1987, 58 = FamRZ 1986, 783): Bei der Ermittlung des vollen Unterhaltsbedarfs i.S. von § 1578 BGB sind das bisher für den gemeinsamen Bedarf verfügbare Einkommen sowie die trennungsbedingten Mehrkosten zu berücksichtigen, die im Einzelfall festgestellt oder geschätzt werden müssen. Das bereinigte Einkommen des Berechtigten wird bei Erwerbstätigkeit mit 6/7auf den Bedarf angerechnet (3/7-Quote; bei Nichterwerbstätigkeit hälftige Quote; BGH, NJW-RR 1986, 68 = FamRZ 1985, 908; NJW-RR 1988, 519 = FamRZ 1988, 256).

Beispiel: (1) anrechenbares Einkommen
des Verpflichteten 2500 DM ./. 5% = 2375 DM
des Berechtigten 800 DM ./. 5% = 760 DM
(2) Bedarf 2375 DM * 3/7(= 6/7 : 2) = 1018 DM
(hier sind ggf. noch trennungsbedingte Mehrkosten bedarfserhöhend hinzuzusetzen)
darauf anzurechnen 760 DM * 6/7 = 651 DM
Rest-Unterhaltsanspruch (a ./. b) 367 DM

2. Bei einer Unterhaltspflicht gegenüber Ehegatten und Kindern ist, soweit nicht wegen mangelnder Leistungsfähigkeit eine Kürzung zu erfolgen hat, der Kindesunterhalt in Höhe der Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle vom anrechenbaren Einkommen vorweg abzuziehen. Dabei wird davon ausgegangen, daß das Kindergeld sowie eigenes Einkommen des Kindes je zur Hälfte dem barunterhaltspflichtigen und dem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil zugute kommen und sich daher auf die Differenz der beiderseits anrechenbaren Einkommensbetrtäge nicht auswirken. Beim Selbstbehalt (vgl. Nr. IV) sind die angerechneten Beträge des Kindergeldes und Kindeseinkommens jedoch zu berücksichtigen.

3. Die Kosten einer notwendigen Kranken- und Pflegeversicherung sowie ein etwaiger Beitrag für den Vorsorgebedarf des berechtigten Ehegatten sind zusätzlich zu zahlen. Die Beträge sind vom anrechenbaren Einkommen vorweg abzuziehen.
Bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit ist der Elementarunterhaltsbedarf gegenüber dem Altersvorsorgeunterhalt vorrangig zu befriedigen (BGH, NJW 1981, 1556 = FamRZ 1981, 442 [445]).

4. Betreut ein Ehegatte minderjährige Kinder, so richtet sich die Zumutbarkeit seiner eigenen Erwerbstätigkeit nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei ist insbesondere auf die Zahl der Kinder und deren Alter, auf etwaige Schulprobleme sowie auf andere Betreuungsmöglichkeiten abzustellen.
Im allgemeinen kann davon ausgegeangen werden, daß eine Erwerbstätigkeit nicht zumutbar ist, solange ein Kind noch die Grundschule besucht, und daß danach jedenfalls eine Teilzeitbeschäftigung in Betracht kommt.

5. Geht der berechtigte Ehegatte über das an sich zumutbare Maß hinaus einer Erwerbstätigkeit nach, so richtet sich die Anrechenbarkeit seines dadurch erzielten Einkommens auf den Unterhaltsanspruch nach § 1577 II BGB. Dabei ist zu beachten, daß nach § 1577 II 1 BGB eine Anrechnung des Einkommens aus unzumutbarer Arbeit auf den Unterhaltsanspruch nicht in Betracht kommt, solange für den Berechtigten nicht der volle angemessene Unterhaltsbedarf i.S. von § 1578 BGB (vgl. Nr. III 1b) gewährleistet ist.
Erzielt der unterhaltspflichtige Ehegatte Einkommen aus einer Tätigkeit, die er über das an sich gebotene Maß hinaus ausübt, dann kann ein Teilbetrag diese (Mehr-)Einkommens aus Billigkeitsgründen bei der Unterhaltsbemessung unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH, NJW 1982, 2664 = FamRZ 1982, 779).

IV. Selbstbehalt

1. Der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber minderjährigen Kindern (§ 1603 II BGB) beträgt 1500 DM. Wenn keine Berufstätigkeit ausgeübt wird, kann eine Ermäßigung auf bis zu 1300 DM erfolgen.

2. Der angemessene Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem volljährigen Kind (§1603 I BGB) beträgt 1800 DM.

3. Der Selbstbehalt gegenüber Ehegatten liegt im Bereich zwischen diesen Beträgen (in der Regel: 1650 DM), wenn bei mangelnder Leistungsfähigkeit trotz Gefährdung des angemessenen Eigenbedarfs dem Ehegatten nach Billigkeitsgesichtspunkten Unterhalt zu leisten ist (§§ 1361, !581 BGB, 59 EheG a.F.).

(Mitgeteilt von Vors. Richter am OLG Dr. G. Kemnade, Celle)